Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche  
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Bartholomeus I
13/2/09

Das Wort Gottes im Leben und in der Sendung der Kirche

Eure Heiligkeit, verehrte Synodenväter!

Es ist zugleich eine Lehre in Demut und eine Inspiration, von Eurer Heiligkeit aufgefordert zu werden, zur XII. Ordentlichen Generalversammlung dieser vielversprechenden Bischofssynode zu sprechen, einem historischen Treffen der Bischöfe der römisch-katholischen Kirche aus der ganzen Welt, die sich hier versammelt haben, um über “das Wort Gottes” zu meditieren und Entscheidungen über die Erfahrung und die Bedeutung dieser Worte “Im Leben und in der Sendung der Kirche” zu treffen.

Die freundliche Einladung Eurer Heiligkeit an uns ist eine wichtige und bedeutungsvolle Geste - wir könnten sogar sagen, dass es schon ein historisches Ereignis an sich ist. Zum ersten mal in der Geschichte hat ein ökumenischer Patriarch die Gelegenheit, vor einer Bischofssynode der römisch-katholischen Kirche zu sprechen und so am Leben dieser Schwesterkirche auf so hoher Ebene beteiligt zu werden. Wir sehen darin das Wirken des Heiligen Geistes, der unsere Kirchen in eine engere und tiefere Beziehung zu einander führt - ein wichtiger Schritt hin zur Wiederherstellung unserer vollen Communio.

Es ist bekannt, dass die orthodoxe Kirche den Synoden eine grundsätzliche ekklesiologische Bedeutung zuschreibt. Zusammen mit dem Primat bildet die Synodalität das Rückgrat der Führung der Kirche und ihrer Organisation. Wie unser gemeinsamer internationaler Ausschuss für den theologischen Dialog zwischen unseren Kirchen es im Dokument von Ravenna zum Ausdruck brachte, durchzieht diese gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem Synodalsystem und dem Primat im Leben der Kirche alle Ebenen: von der lokalen, regionalen bis zur Weltebene. Deshalb ist es ein Privileg für uns, heute vor Ihrer Synode sprechen zu dürfen und wir hoffen, dass der Tag kommen wird, an dem unsere beiden Kirchen voll und ganz darüber übereinstimmen werden, was die Rolle des Primats und des Synodalsystems im Leben der Kirche betrifft; ein Thema, das unser gemeinsamer theologischer Ausschuss gerade untersucht.

Das Thema dieser Bischofssynode ist nicht nur für die römisch-katholische Kirche, sondern auch für alle diejenigen von ausschlaggebender Bedeutung, die als Zeugen Christi in unserer Zeit berufen wurden. Sendung und Evangelisierung sind eine ständige Pflicht der Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten; sie sind in der Tat Teil des Wesens der Kirche, die sich “apostolisch” nennt und das nicht nur im Sinne, dass sie der ursprünglichen Lehre der Apostel treu bleibt und das Wort Gottes in jedem kulturellen Kontext zu jeder Zeit verkündet. Die Kirche muss deshalb das Wort Gottes in jeder Generation neu auslegen und es mit neuer Kraft und Überzeugung in unserer zeitgenössischen Welt, die tief im Herzen nach Gottes Botschaft von Frieden, Hoffnung und Barmherzigkeit dürstet, umsetzen.

Natürlich wäre diese Aufgabe der Evangelisierung sehr viel stärker und wirksamer, wenn alle Christen mit einer Stimme in einer vereinten Kirche sprechen würden. Der Herr hat in seinem Gebet zum Vater kurz vor seiner Passion verdeutlicht, dass die Einheit der Kirche untrennbar mit ihrer Sendung verbunden ist, “damit die Welt glauben kann” (Joh 17. 21). Deshalb ist es angemessen, dass diese Synode ihre Türen für die ökumenischen Bruderdelegierten geöffnet hat, damit wir alle uns unserer gemeinsamen Pflichten in der Evangelisierung und auch der Schwierigkeiten und Probleme bei ihrer Umsetzung in der heutigen Welt bewusst werden. Diese Synode hat zweifellos das Thema des Gotteswortes vertieft und in allen theologischen, praktischen und pastoralen Aspekten beleuchtet. In unserer bescheidenen Ansprache vor Ihnen werden wir uns darauf beschränken, einige Gedanken zum Thema ihres Treffens vorzutragen und aus der orthodoxen Tradition und besonders der griechischen Patristik zu schöpfen, die sich im Laufe der Jahrhunderte entwickelten. Ganz konkret möchten wir gerne drei Aspekte des Themas herausgreifen, nämlich: das Wort Gottes durch die Heilige Schrift hören und verkündigen; Gottes Wort in der Natur und vor allem in der Schönheit von Ikonen wahrnehmen; und schlussendlich Gottes Wort in der Gemeinschaft der Heiligen und im sakramentalen Leben der Kirche berühren und mit einander teilen. Diese Punkte sind, so glauben wir, für das Leben und die Sendung der Kirche von lebenswichtiger Bedeutung.

Während wir das tun, versuchen wir auch, aus der reichen patristischen Tradition zu schöpfen, die auf das frühe dritte Jahrhundert zurückgeht und werden die Lehre der fünf geistlichen Schriftsinne erklären. Wenn wir dem Wort Gottes zuhören, es in uns aufnehmen und anfassen, dann haben wir alle geistlichen Wege, um das einzigartige göttliche Mysterium wahrzunehmen. Origenes von Alexandrien schreibt auf Grund der Sprichwörter 2.5 über “das göttliche Wahrnehmungsvermögen” (aistèsis im Griechischen): Dieser Sinn offenbart sich als Sicht, wenn man die immateriellen Dinge betrachtet, als Gehörsinn, um Stimmen zu erkennen, als Geschmackssinn, wenn man frisches Brot schmeckt, als Geruchssinn, wenn man den süßen geistlichen Duft riecht und als Tastsinn, wenn man mit dem Wort Gottes umgeht, das mit der ganzen Kraft der Seele erfasst wird.

Die geistlichen Sinne werden verschieden beschrieben, nämlich als die “Fünf Sinne der Seele”, als “göttlich”, als “innere Fähigkeiten” und selbst als “Fähigkeiten des Herzens oder des Gemüts”. Diese Doktrin inspirierte die Theologie der Kappadozier (besonders die von Basilius dem Großen und Gregor von Nyssa) genau so wie die Theologie der Wüstenväter (besonders Evagrius von Ponticus und Macarius dem Großen).

1. Das Wort durch die Heiligen Schriften hören und sprechen

Bei jeder Feier der göttlichen Liturgie des hl. Johannes Chrysostomus fleht der vorsitzende Zelebrant, “auf dass wir würdig werden, das Heilige Evangelium zu hören. Denn das, was wir gehört und mit unseren Augen gesehen haben, was wir geschaut und was unsere Hände berührt haben, das Wort des Lebens” (1 Joh 1.1) ist zunächst kein Anrecht oder Geburtsrecht der Menschen; es ist vielmehr für uns als Kinder des lebendigen Gottes Privileg und Gabe. Die christliche Kirche ist vor allem eine Kirche der Schrift. Mögen die Auslegungsmethoden von Kirchenvater zu Kirchenvater, von “Schule zu Schule”, zwischen Osten und Westen verschieden sein, die Heilige Schrift wurde immer als lebendige Wirklichkeit und nicht als tote Schrift empfunden.

Im Kontext eines lebendigen Glaubens ist deshalb die Heilige Schrift das lebendige Zeugnis der erlebten Geschichte über die Beziehung eines lebendigen Gottes zu einem lebendigen Volk. Die Worte “Der durch die Propheten sprach” (Nizäno-konstatinopolitanisches Glaubensbekenntnis) wurden gesprochen, um gehört zu werden und Wirkung zu zeigen. Es ist an erster Stelle eine mündlich-direkte Kommunikation, die an die Menschen erging. Der schriftliche Text ist deshalb davon abgeleitet und sekundär; der schriftliche Text muss immer dem gesprochenen Wort dienen. Es wird nicht mechanisch, sondern von Generation zu Generation als lebendiges Wort übertragen. Durch den Propheten Jesaja gelobt der Herr: ”Denn wie der Regen und der Schnee vom Himmel fällt und nicht dorthin zurückkehrt, sondern die Erde tränkt ... so ist es auch mit dem Wort, das meinen Mund verlässt: Es kehrt nicht leer zu mir zurück, sondern bewirkt, was ich will und erreicht all das, wozu ich es ausgesandt habe. (Jes 55. 10-11).

Wie der hl. Johannes Chrysostomus erklärt, berücksichtigt das göttliche Wort genau (sunkatabasis) die unterschiedlichen Persönlichkeiten und verschiedenen kulturellen Kontexte derer, die es hören und empfangen. Die Anpassung des göttlichen Worts auf die besondere persönliche Bereitschaft und den besonderen kulturellen Kontext definiert die Sendungsdimension der Kirche, die berufen ist, die Welt durch das Gotteswort zu verändern. Im Schweigen wie in der Verkündigung, im Gebet wie in der Aktion wendet sich das göttliche Wort an die ganze Welt und “verkündet allen Völkern” (Mt 28.19) ohne Privilegien oder Benachteiligung auf Grund von Rasse, Kultur, Geschlecht und Klasse das Wort Gottes. Wenn wir diesen göttlichen Auftrag ausführen, versichert man uns: “Seid gewiss, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt” (Mt 28. 20).Wir sind berufen, das göttliche Wort in allen Sprachen zu verkünden “und allen alles zu werden, um auf jeden Fall einige zu retten“ (1 Kor 9. 22).

Als Jünger des Gottesworts ist es für uns wichtiger als je zuvor, dass wir eine einzigartige Perspektive anbieten- über alles Soziale, Politische und Wirtschaftliche hinaus - in der Notwendigkeit, die Armut zu bekämpfen und ein Gleichgewicht in einer globalisierten Welt zu schaffen, Fundamentalismus oder Rassismus zu bekämpfen und religiöse Toleranz in eine Welt voller Konflikte zu bringen. In Antwort auf die Bedürfnisse der Armen, Verletzlichen und Ausgegrenzten der Welt kann die Kirche ein Zeichen für den Ort und Charakter der globalen Gemeinschaft setzen. Während sich die theologische Sprache der Religion und Spiritualität von dem technischen Vokabular der Wirtschaft und Politik unterscheidet, können die Hindernisse, die auf den ersten Blick die religiösen Fragen (wie Sünde, Heil und Spiritualität) von den pragmatischen Interessen (wie Handel, Wirtschaft und Politik) zu trennen scheinen, überwunden werden und stürzen angesichts der vielen Herausforderungen der sozialen Gerechtigkeit und Globalisierung ein.

Während wir uns mit Umwelt und Frieden, Armut und Hunger, Erziehung und Gesundheitswesen beschäftigen, sind sich vor allem die Gläubigen, aber auch andere “säkulare” Menschen bewusst geworden, dass man gemeinsame Sorgen hat und gemeinsame Verantwortung trägt. Unser Engagement für diese Fragen ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass es unterschiedliche Disziplinen oder Meinungsverschiedenheiten zwischen den Weltanschauungen gibt, noch werden dadurch die Unterschiede abgeschafft. Die wachsenden Zeichen für ein gemeinsames Engagement zum das Wohl der Menschheit und dem Leben auf der Welt sind ermutigend. Es ist eine Begegnung von einzelnen Personen und Einrichtungen, die Hoffnung für die Welt erwarten lassen. In dieser Zusammenarbeit wird die höchste Berufung und Sendung der Jünger und Anhänger des Gottesworts hervorgehoben, die politischen oder religiösen Unterschiede transzendiert, um die ganze sichtbare Welt zur Ehre des unsichtbaren Gottes zu verändern.

2. Das Wort Gottes sehen - Die Schönheit der Ikonen und der Natur

Nirgendwo anders wird das Unsichtbare sichtbarer gemacht, als in der Schönheit der Ikonographie und in dem Wunderwerk der Schöpfung. Mit den Worten des Meisters der Heiligen Bilder, dem Hl. Johannes von Damaskus: “Als der Schöpfer von Himmel und Erde war Gott, das Wort, selbst der erste, der Ikonen gemalt und dargestellt hat.” Jeder Pinselstrich eines Ikonographen - so wie jedes Wort einer theologischen Definition, wie jede musikalische Note, die beim Psalmenlied gesungen wird und, wie jeder eingravierte Stein einer winzigen Kapelle oder einer schönen Kathedrale - zeigt das göttliche Wort in der Schöpfung, das den Herrn lobt, in allem was atmet. (Ps 150, 6).

Beim Siebten Ökumenischen Konzil von Nizäa fanden die heiligen Darstellungen ihre Bestätigung, und doch ging es eigentlich nicht um die religiöse Kunst als solche, sondern um die Fortführung und die Bestätigung früherer Definitionen über die Fülle von Menschlichkeit im Wort Gottes. Ikonen sind eine sichtbare Erinnerung an unsere himmlische Berufung. Sie fordern uns dazu auf, über unsere trivialen Sorgen und über die Nebensächlichkeiten in der Welt hinauszugehen. Sie ermutigen uns dazu, das Außergewöhnliche im Alltäglichen zu finden und von der gleichen Verwunderung erfüllt zu sein, die das göttliche Wunder in der Genesis gekennzeichnet hat: “Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut”. (Gen 1. 30-31). Das griechische Wort (Septuaginta) für “Güte” ist kallos, was etymologisch und symbolisch die Bedeutung des “Rufens” enthält. Ikonen unterstreichen die grundlegende Sendung der Kirche, zu erkennen, dass alle Menschen und alle Dinge geschaffen und gerufen worden sind, um “gut” und “schön” zu sein. In der Tat erinnern uns die Ikonen an eine andere Sichtweise der Dinge, an eine andere Realitätserfahrung, an eine andere Form der Konfliktlösung. Wir sind dazu gerufen, das zu übernehmen, was die Hymnologie vom Ostersonntag “eine andere Art zu leben” nennt.

Wir haben uns der natürlichen Schöpfung gegenüber arrogant und abschätzig verhalten. Wir haben uns geweigert, das Wort Gottes in den Ozeanen unseres Planeten, in den Bäumen unserer Kontinente und in den Tieren auf der Erde zu bewahren. Wir haben unsere eigene Wesenhaftigkeit geleugnet, die uns auffordert, uns so hinzugeben, dass wir das Wort Gottes in der Schöpfung hören können, wenn wir den Wunsch haben, an der göttlichen Natur teilzuhaben (2 Pet 1. 4). Wie konnten wir beim fleischgewordenen Wort Gottes die größeren Implikationen davon ignorieren? Warum versäumen wir es, die Schöpfung der Natur als einen Teil vom Leib Christi wahrzunehmen?

Theologen aus dem östlichen Christentum haben immer die Kosmischen Proportionen der göttlichen Fleischwerdung hervorgehoben. Das fleischgewordene Wort ist der innere Wert der Schöpfung, die durch göttliche Äußerung verwirklicht wurde. Der heilige Maximus Confessor besteht auf der Gegenwärtigkeit vom Wort Gottes in allen Dingen (Kol 3.11). Der göttliche Logos steht im Mittelpunkt der Welt und offenbart auf geheimnisvolle Weise sein Ursprungsprinzip und sein höchstes Ziel (1 Pet 1.20). Dieses Mysterium wird vom Hl. Athanasius von Alexandrien folgendermaßen beschrieben: “Als der Logos“, schreibt er, “ist er in nichts enthalten, und doch enthält er alles. Er ist in allem und doch außerhalb von allem...der Erstgeborene der ganzen Welt in allen ihren Aspekten“. Die gesamte Welt ist ein Prolog zum Johannesevangelium. Und wenn die Kirche es verfehlt, die weiter reichende, kosmische Dimension vom Wort Gottes zu erkennen und sich nur um rein geistliche Fragen sorgt, dann leugnet sie ihre Sendung, die darin besteht, Gott anzuflehen für den Wandel des gesamten, verseuchten Kosmos - immer und überall, “an allen Orten seiner Herrschaft”. Es ist kein Wunder, dass am Ostersonntag, wenn die Paschafeier ihren Höhepunkt erreicht, orthodoxe Christen singen: “Jetzt ist alles mit göttlichem Licht erfüllt: Himmel und Erde, und alle Dinge unter der Erde. So lasset alle Schöpfung erfreut sein“.

Jede authentische “tiefe Ökologie” ist deshalb ausweglos mit tiefer Theologie verbunden: “Sogar ein Stein”, schreibt Basilius der Große, “trägt das Zeichen vom Wort Gottes. Dies trifft für eine Ameise, eine Biene und einen Mosquito zu, die kleinsten aller Geschöpfe. Denn Er breitete die großen Himmel aus und legte die riesigen Meere an; und Er schuf den kleinen, hohlen Schaft vom Bienenstachel“.
Wenn wir uns unsere Winzigkeit in Gottes weiter und wunderbarer Schöpfung ins Gedächtnis rufen, so hebt dies unsere zentrale Rolle in Gottes Heilsplan für die Welt hervor.

3. Das Wort Gottes berühren und miteinander teilen - Die Gemeinschaft der Heiligen und die Sakramente des Lebens

Das Wort Gottes kommt fortdauernd in Ekstase aus sich heraus (Dionysius der Areopag) und versucht leidenschaftlich “unter uns zu wohnen” (Joh 1.14), damit sie das Leben haben und es in Fülle haben (Joh 10.10). Gottes barmherzige Gnade wird ausgeschüttet und mit allen geteilt, auf dass die Empfänger seiner Wohltätigkeit sich vermehren mögen (Gregorius, der Theologe) Gott nimmt sich unser aller Dinge an “die wir in allem in Versuchung geführt worden sind, aber nicht gesündigt haben” (Heb 4.15), um uns allen das anzubieten, was Gottes ist, und damit wir durch die Gnade Gott werden können. ”Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen”, schreibt der große Apostel Paulus (2 Kor 8.9), dem dieses Jahr so treffend gewidmet ist. Das ist das Wort Gottes, Dankbarkeit und Ehre gebühren ihm.

Das Wort Gottes erhält seine volle Verkörperung durch die Schöpfung, vor allem im Sakrament der Heiligen Eucharistie. Es ist dort, wo das Wort Fleisch wird und es uns ermöglicht, ihn nicht nur zu hören oder zu sehen, sondern ihn mit unseren Händen zu berühren, wie der Hl. Johannes uns erklärt (I Joh 1,1) und ihn zum Teil unseres eigenen Leibes und unseres eigenen Blutes zu machen (sussomoi kai sunaimoi), wie in den Worten des Hl. Chrysostomus.

In der Heiligen Eucharistie ist das Wort gehört zugleich gesehen und geteilt (koinonia). Es ist kein Zufall, dass in den frühen eucharistischen Dokumenten, wie dem Buch der Offenbarung und dem Didache, die Eucharistie mit der Prophezeiung in Verbindung gebracht und die Bischöfe als Nachfolger der Propheten betrachtet wurden (e.g. Martyrion Polycarpi). Die Eucharistie wurde schon vom Hl. Paulus (I Kor 11) als “Verkündung” von Christi Tod und seiner Wiederkehr beschrieben. Da der Zweck der Schrift wesentlich darin besteht, das Reich Gottes und eschatologische Realitäten zu verkünden, stellt die Eucharistie einen Vorgeschmack für das Reich Gottes dar, und ist in diesem Sinne die Verkündigung des Wortes Gottes par excellence. In der Eucharistie werden das Wort und das Sakrament zu einer Realität. Das Wort hört auf “Worte” zu sein und wird zu einer Person, indem es ihn in allen Menschen und in der ganzen Schöpfung verkörpert.

Im Leben der Kirche spiegeln sich die unergründliche Selbstentäußerung (kenosis) und das großherzige Miteinander-Teilen (koinonia) des göttlichen Logos im Leben der Heiligen wider, und zwar als greifbare Erfahrung und menschlicher Ausdruck vom Wort Gottes in unserer Gemeinschaft. Auf diese Weise wird das Wort Gottes zum Leib Christi, der zugleich gekreuzigt und geehrt wurde. Dies führt dazu, dass der Heilige eine organische Beziehung zum Himmel und zur Erde, zu Gott und zu seiner ganzen Schöpfung hat. In asketischem Ringen versöhnt der Heilige das Wort mit der Welt. Durch Reue und Reinigung ist der Heilige - wie Abba Isaak, der Syrer sagt - mit Mitleid für alle Geschöpfe erfüllt, was die äußerste Demut und Vollkommenheit bedeutet.

Aus diesem Grund ist die Liebe eines Heiligen warmherzig und allumfassend, was zugleich eine uneingeschränkte und unwiderstehliche Liebe bedeutet. In den Heiligen erkennen wir Gottes eigenes Wort, denn, wie der heilige Gregorius Palamas betont, teilen Gott und seine Heiligen dieselbe Ehre und Herrlichkeit. In der milden Gegenwart eines Heiligen lernen wir, wie Theologie und Aktion übereinstimmen. In der mitleidsvollen Liebe des Heiligen erfahren wir Gott als “unseren Vater” und Gottes Barmherzigkeit als “ewig während” (Ps 135). Der Heilige wird verzehrt vom Feuer der Liebe Gottes. Deshalb vermittelt der Heilige Gnade und kann die leichteste Manipulation oder Ausbeutung in der Gesellschaft oder der Natur nicht dulden. Der Heilige tut einfach, was “angemessen und richtig” ist (Göttliche Liturgie des heiligen Johannes Chrysostomus), und vermehrt dabei immer die Würde des Menschen und ehrt die Schöpfung. “Seine Worte haben die Kraft von Taten und sein Schweigen die Kraft der Rede” (Heiliger Ignatius von Antiochien).

Und in der Gemeinschaft der Heiligen ist jeder von uns berufen, “wie Feuer zu werden” (Sprüche der Wüstenväter), die Welt mit der geheimnisvollen Kraft des Wortes Gottes zu berühren, so dass auch die Welt - als der erweiterte Leib Christi - sagen kann: “Jemand hat mich berührt!” (Vgl. Mt 9,20). Das Böse wird nur ausgemerzt durch Heiligkeit, nicht durch Strenge. Und Heiligkeit bringt in die Gesellschaft einen Samen, der heilt und verwandelt. Erfüllt von dem Leben der Sakramente und der Reinheit des Gebetes sind wir fähig, in das innerste Geheimnis von Gottes Wort einzutreten. Es ist wie bei den tektonischen Platten der Erdkruste: die tiefsten Schichten brauchen sich nur wenige Millimeter zu bewegen, um die Erdoberfläche zu zerbrechen. Damit aber diese spirituelle Revolution geschieht, müssen wir eine radikale Erfahrung der “metanoia” - eine Bekehrung der Haltungen, Gewohnheiten und Gepflogenheiten - machen von den Weisen, wie wir Gottes Wort, Gottes Gaben und Gottes Schöpfung schlecht gebraucht oder missbraucht haben.
Eine solche Bekehrung ist sicherlich unmöglich ohne die göttliche Gnade; sie wird nicht einfach durch eine größere Anstrengung oder menschliche Willensstärke erreicht. “Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich” (Mt 19,26). Eine spirituelle Veränderung geschieht, wenn unsere Körper und Seelen dem lebendigen Wort Gottes eingepflanzt sind, wenn unsere Zellen den lebenspendenden Blutfluss der Sakramente enthalten, wenn wir bereit sind, alles mit allen zu teilen. Wie der heilige Johannes Chrysostomus uns erinnert, kann das Sakrament “unseres Nächsten” nicht vom Sakrament “des Altars” getrennt werden. Traurigerweise haben wir die Berufung und die Verpflichtung zu teilen nicht beachtet. Soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit, weltweite Armut und Krieg, Umweltverschmutzung und -zerstörung sind Folgen unserer Unfähigkeit oder Widerwillens zu teilen. Wenn wir am Sakrament des Altars festhalten wollen, können wir nicht auf das Sakrament des Nächsten verzichten oder es vergessen - es ist eine grundlegende Bedingung dafür, das Wort Gottes in der Welt im Leben und in der Sendung der Kirche zu verwirklichen.

Konklusion

Geliebte Brüder in Christus, wir haben die patristische Lehre über die geistlichen Sinne erkundet, indem wir die Macht, das Wort Gottes in der Heiligen Schrift zu hören und zu verkünden, erkannt haben, sowie das Wort Gottes in den Ikonen und in der Natur zu sehen als auch in den Heiligen und in den Sakramenten zu berühren und zu teilen. Um aber in Wahrheit mit dem Leben und der Sendung der Kirche übereinzustimmen, müssen wir persönlich vom Wort verändert werden. Die Kirche muss einer Mutter ähneln, die durch die Nahrung, die sie aufnimmt, selbst ernährt wird, aber auch andere nährt. Alles, was nicht jeden ernähren kann, kann auch uns keine Kraft geben. Wenn die Welt die Freude über die Auferstehung Jesu nicht teilt, ist das eine Anklage unserer eigenen Redlichkeit und unseres Einsatzes, das Wort Gottes zu leben. Vor jeder Göttlichen Liturgie beten die orthodoxen Christen, dass dieses Wort “gebrochen und verzehrt, ausgeteilt und geteilt” wird in der Kommunion. Und “wir wissen, dass wir aus dem Tod ins Leben hinübergegangen sind, wenn wir unsere Brüder” und Schwestern lieben (1 Joh 3,14).

Die vor uns liegende Herausforderung ist, das Wort Gottes angesichts des Bösen zu erkennen, die Verklärung jedes geringsten Details und Fleckchens dieser Welt im Licht der Auferstehung. Der Sieg ist in den Tiefen der Kirche schon gegenwärtig, wann immer wir die Erfahrung der Versöhnung und der Gemeinschaft machen. Wenn wir darum ringen - in uns und in der Welt -, die Macht des Kreuzes zu erkennen, beginnen wir zu schätzen, wie jeder Akt der Gerechtigkeit, jeder Funke der Schönheit, jedes Wort der Wahrheit nach und nach die Kruste des Bösen abschleifen kann. Wir haben jedoch über unsere eignen schwachen Bemühungen hinaus die Zusicherung des Heiligen Geistes, der “sich unserer Schwachheit annimmt” (Röm 8,26) und uns als Beistand und “Tröster” (Joh 14,6) zur Seite steht, alles durchdringt und “uns verwandelt”, wie der heilige Simeon der Neue Theologe sagt, “in das, was das Wort Gottes über das Himmelreich sagt: Perle, Senfkorn, Sauerteig, Wasser, Feuer, Brot, Leben und mystisches Hochzeitsgemach”. Das ist die Macht und die Gnade des Heiligen Geistes, den wir zum Abschluss unserer Ansprache anrufen wollen, indem wir Eurer Heiligkeit unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen und Ihnen allen unseren Segen erteilen:

Himmlischer König, Tröster, Geist der Wahrheit, allgegenwärtig und alles erfüllend, Schatz der Güte und Spender des Lebens: Komm und erfülle uns. Reinige uns von aller Unreinheit und rette unsere Seelen. Denn du bist gütig und liebst die Menschheit. Amen!

Bartholomeo I

Dies ist der Text der des Ökumenischen Patriarchs Bartholomeo I. an der XII. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode in Rom am 18. Oktober 2008.


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