Über die Fackel der Erneuerung  
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Dr. Hermann Häring
6/5/11

Über die Fackel der Erneuerung

Das Netz ist zerrissen und wir sind frei (Ps 124,7)

Die Winde stehen nicht gut für eine erneuerte Kirche. 45 Jahre haben wir von ihr geredet, auf ihre Erneuerung gehofft und uns immer wieder vertrösten lassen: Der Umschwung komme mit dem nächsten Papst, dem nächsten Bischof, mit einer verjüngten Kurie in Rom, Utrecht oder sonst wo. Als ich 1980 in die Niederlande kam, berichtete mir ein Kollege vom „Winter“, der in die Kirche dieses Landes eingebrochen sei. Vor kurzem hörte ich dasselbe Wort von einem Kollegen aus den Vereinigten Staaten. Er meinte nicht die Kirche der Niederlande, sondern die Weltkirche. Die Amtszeit des gegenwärtigen Papstes begann mit dem programmatischen Schreckensruf: „Diktatur des Relativismus“. Er stand damit in einer römischen Kontinuität. Schon 150 Jahre ist Rom von der Angst getrieben, eine Erneuerung könne nur im Chaos enden. Diese Angst hat auf dem 2. Vatikanum für viele Konflikte und manchen schlechten Kompromiss in den Dokumenten gesorgt. Sie steigerte sich in den kommenden Jahren, als die verschiedenen Länder ihre Erwartungen anmeldeten. Die Bischofsernennungen der 70er und 80er Jahre leiteten schließlich in allen Ländern eine definitive Wende ein. Zurück zur alten Lehre, hieß die Devise; konkret meinte man: zurück zur alten Ordnung und zu den alten autoritären Verhältnissen, in denen Wenige wieder vorschrieben, was für alle gut und böse sei.

Die Entwicklung verlief in den Niederlanden dramatischer und katastrophaler, aber auch ehrlicher als zum Beispiel in Deutschland. Immerhin behielten die Niederlande lange Zeit eine unausgesprochene Leitfunktion, denn bis heute können die deutschen Katholiken an ihren niederländischen Geschwistern ablesen, was mit einer zehnjährigen Verspätung ihr eigenes Schicksal sein wird. Allerdings holen die deutschen Katholiken ihre Verspätung mit schnellen Schritten ein, denn die neuen Pfarrstrukturen, die den dramatischen Priestermangel nur vertuschen sollen, führen zum Zusammenbruch der klassischen Seelsorge, und das bringt selbst deutsche Katholiken in Rage. Papst Benedikt, über den man in Deutschland so stolz war, provoziert inzwischen mehr Verzweiflung als Begeisterung; sein Management pflegt keine Krisen zu meistern, sondern zu provozieren. Die Missbrauchsaffären haben die Glaubwürdigkeit der Bischöfe vollends ruiniert, weil sie zu keiner angemessenen Reaktion fähig sind. So zirkulieren auch in Deutschland immer mehr Aufrufe zu Protest und Regelverletzung, zu Widerstand und gezieltem Ungehorsam. Allerdings, auch in Deutschland sind die kritischen Intellektuellen schon lange aus der Kirche emigriert, was eine lautstarke und organisierte Kritik nicht gerade fördert.

Zudem haben die Optimisten der 60er Jahre den Schwung der Säkularisierungsprozesse unterschätzt. Gleich ob modern oder konservativ, so oder so hätte die katholische Kirche über die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. So wurde die Zahl der Erneuerer also doppelt dezimiert. Haben wir Kinder des Konzils richtig reagiert? Ich weiß es nicht. Wir wagten den wirklichen Widerstand nicht und ließen die harten Kritiker schließlich im Regen stehen, ob sie Edward Schillebeeckx oder Hans Küng heißen. Kleine Zeichen der Kritik wurden wie heroische Gesten gefeiert, aber verheiratete Priester wurden aus der Kirche verdrängt, von der Ordination von Frauen ganz zu schweigen. Das nie gestillte Harmoniebedürfnis katholischer Christen zwang uns zu halben Lösungen, zu Nostalgie und einem endlosen Masochismus. Schließlich hätten wir der Utrechter Union beitreten oder eine eigene Gemeinschaft gründen, einige Bischöfe offiziell zum Rücktritt zwingen und die Abberufung erzkonservativer Päpste wegen eines Schismas von oben fordern können. Was hätten wir tun sollen oder können? Ich weiß es nicht, und ohnehin ist diese Frage zu spät gestellt.

Ich weiß aber etwas anders, und das könnte die Botschaft dieses Tages sein: Hinter diesem Jammer der Niederlagen verbirgt sich noch eine ganz andere Geschichte. Es ist die Geschichte einer erneuerten Kirche, einer „verborgenen Kirche“ also, die es nicht nur in Bratislava, Brno und Prag gab, sondern auch in der Randstad, in Roermond und in Leeuwarden gibt. Schon lange hat sie die katholischen Strukturfragen im Sinne von Gleichberechtigung und Demokratie neu formuliert, die Kirchentrennungen zu innerfamiliären Beziehungen umgeformt, mit anderen Religionen eine aktive Freundschaft geschlossen und die säkulare Gesellschaft, die zugleich eine Gesellschaft der neuen Götter ist, akzeptiert. Es ist die Geschichte einer Kirche, die den Kokon des Mittelalters allmählich abstreift, ohne großes Aufsehen hinter sich lässt und sich in die neue Situation begibt. Genau besehen bedeutet dieser Weg keine Untreue zur katholischen Identität, sondern eine Rückkehr zu ihr. Wir streifen nur Verengungen ab, die ihre Legitimität schon lange verloren haben. Nicht wir, sondern die Herren der alten Schläuche stehen unter Beweiszwang.

1. Wir können neue Gottesdienste feiern

Sie können die aktuelle Situation besser als ich: die Unzufriedenheit der einen, denen man in ihren Gemeinden die sonntägliche Eucharistiefeier vorenthält, und die Ungeduld der anderen, die den Rahmen einer katholischen Liturgie schön lange ausgeweitet haben. Mit neuen Gottesdiensten meine ich die Feiern in verschiedensten Formen, wie sie in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Es sind Gottesdienste zu verschiedenen Anlässen und für verschiedene Gruppen, katholische und ökumenische, interreligiöse und säkular erweiterte. Zu ihnen gehören Erwägungen und Gespräche, Meditation und Tanz, die Begegnung von Frauen und Männern, Schwulen und Lesben in eigenen Gruppen. Ihre Qualität bemisst sich nicht mehr an traditionellen Formeln des Glaubens, sondern an der Art, wie sie die großen Fragen des Menschseins, menschlicher Hoffnung und menschlicher Grenzen begehen und erleben. Wir tun dies inzwischen ohne schlechtes Gewissen, denn wir haben aus unseren eigenen Ursprüngen gelernt. Gewiss, christlicher Gottesdienst lebte immer aus der Erinnerung an Jesu Leben und Tod. Es ging darum, das Leben in seinem Namen zu teilen. Aber dazu gehörten schon immer die Schöpfung und die Welt der Zeitgenossen. Offensichtlich spielte der Opfergedanke in der Urkirche noch keine Rolle, vielmehr herrschte ein weltoffener Horizont. In der Didaché heißt es: „Wie dieses Korn zerstreut war auf den Bergen und zusammengebracht ein Brot geworden ist, so soll deine Kirche zusammengebracht werden von den Enden der Erde in dein Reich!“ Und kein geringerer als der Evangelist Johannes ersetzt den klassischen, für die spätere Tradition so wichtigen Einsetzungsbericht durch die Fußwaschung: „Er goss Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen.“ (Joh 13,5) Dann sagte er: „Der Sklave ist nicht größer als sein Herr, und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat.“ (Joh 13,16) Eine weltoffene Dienstbereitschaft steht also zur Debatte und die Demut der „Abgesandten“ gehört wesentlich zu ihr. Ansonsten sind im Umbruch einer Epoche Freiheit und schöpferische Phantasie gefragt. Dass Rom neuerdings alle liturgischen Texte aus aller Welt kontrolliert und korrigiert, hat mit dem christlichen Freiheitsgeist nur wenig zu tun. Warum also regen wir uns auf?

Wir können neue Gottesdienste feiern, liebe Freunde. Natürlich gehört zu ihnen auch die Feier der Eucharistie mit ihrem Gedächtnis von Tod und Auferstehung, aber auch sie lernten wir in den vergangenen Jahrzehnten neu zu verstehen. Unmerklich und schon lange haben wir sogar Abstand genommen von vielen Elementen der liturgischen Bewegung, die durch Lambert Beauduin (1873–1960) und andere in den Niederlanden bekannt wurde. Dazu gehörten die Begeisterung für eine genau geregelte, oft umständlich und mönchisch geformte Liturgie, die Stabilisierung eines mittelalterlichen Ordnungsmodells und vor allem die Hervorhebung des Vorstehers, sei es ein Priester oder ein Bischof, der über der Gemeinde thronte. Das Ideal der „tätigen Partizipation“ wurde noch einseitig als ein Mitmachen verstanden und der Priester erschien als Repräsentant Jesu Christi selbst, in dessen Namen er handelte. Ildefons Herwegen, Abt von Maria Laach, sprach noch in den dreißiger Jahren vom „Führerprinzip“.

Welch ein Kontrast in Stimmung und Erwartungen zum Dokument „Kerk en Ambt“ vom September 2007, das durch seine nüchterne Schilderung der Situation allen Triumphalismus vom Tisch fegt. Die Notsituation vieler Gemeinden schreit zum Himmel und das theologische Bewusstsein hat sich verändert: Keine magische Substanzveränderung wird gefeiert, sondern das Teilen des Lebens, keine Verwandlung von Lebensmitteln, sondern die Konversion unseres Lebens im Namen Jesu steht in Frage. Wir feiern kein kompliziertes Opferritual, sondern Gottes Lebensgaben und unsere Lebenshingabe.

Das dominikanische Grundsatzpapier präsentiert den Verzicht auf einen bischöflich ordinierten Amtsträger für den Notfall, aber zugleich als unvermeidliche und unproblematische Antwort auf das Fehlverhalten der Kirchenleitungen. Dafür hat es gute Gründe genannt. Aber zugleich hat es auch seit Jahrhunderten verzerrte Verhältnisse zurechtgerückt. Denn die Wiege der Eucharistiefeier ist und bleibt die Gemeinde und kein ordiniertes Ämtergremium. Primär lebt diese Feier aus dem in der Gemeinschaft ausgegossenen Geist, nicht aus der Vollmacht eines isolierten, magisch präparierten und zudem von außen importierten Vorstehers. Nach Paulus ist nicht die konsekrierte Oblate, sondern die Gemeinde Christi Leib. Seitdem man sie im 2. Jahrtausend „mystisch“ nannte, wertete man sie ab. Wenn eine Gemeinschaft also im Namen Christi zusammen kommt, ist Jesus mitten unter ihnen. Er verwirklicht sich in ihrem Zusammensein; er bietet sich ihnen in der Erinnerung, in der Nachfolge und in der Hoffnung an. Wer deshalb, von der Gemeinschaft der Getauften dazu bestimmt, die Gemeinde handlungsfähig macht und ihr seine Stimme verleiht, steht, unabhängig von Geschlecht, Lebensstand und anderen Qualifikationen, im Namen Christi in ihrer Mitte.

Wir können also unsere Gottesdienste feiern und man sollte dem aktuellen, durch die Kirchenleitungen verursachten Priestermangel eigentlich dankbar sein, dass er unseren Blick wieder auf diese ursprüngliche und elementare Wahrheit lenkt. Diese Wahrheit und die Praxis dieses neu verstandenen Gemeindedienstes entlarvt ein lange gewachsenes, für lange Zeit vielleicht ein lebenswichtiges Tabu. Aber in Zeiten kulturellen Umbruchs sind auch Tabubrüche unvermeidlich, weil sie uns zu elementaren Erkenntnissen zwingen. Dieser Tabubruch bietet vielen Gemeinden ein neues Leben an. Ich schlage vor, dass priesterlose Gemeinden und dass Gemeinden, denen diese Wahrheit aufgegangen ist, miteinander Kontakt suchen und sich über die Gestaltung ihrer Eucharistiefeiern austauschen. Eucharistie muss nicht die großkirchlich feierliche Kultveranstaltung sein, die in der Spätantike ihre Grundgestalt erhielt, also in der Zeit der bischöflich-kathedralen Großkirche und unter dem Regime von imperial auftretenden Kirchenherrn. Ich urteile darüber nicht und ich schätze die Aufgabe der Bischöfe, für die Einheit der Kirchen Sorge zu tragen. Aber wenn man schon urchristlich argumentiert, dann kann Eucharistie überall dort geschehen, wo Christinnen und Christen – wie es in der Didaché heißt – zusammenkommen: so, wie das zerstreute Korn zu einem Brot wird. Diese Zusammenkunft, diese Gemeinschaft vor Ort ist der Kern, aus dem diese zentrale Feier lebt. Sie, und nicht ein ganzes Bistum, ist die Ortskirche, die das 2. Vatikanische Konzil meint.

2. Wir können das Heilige erfahren

Die Kirchenleitungen und viele ihrer Anhänger sind von der Angst getrieben, unsere Kultur habe das Heilige verloren. Der jetzige Bischof von Rom hat daraus eine regelrechte Krisenhermeneutik entwickelt. Das ist verständlich, denn Rom lokalisiert das Heilige immer noch in Kirchen und in sakralen Gewändern, in alten Symbolen, Riten und in Personen, die behaupten, „in der Person Christi“ zu handeln. Ich kann diese Angst nur zu gut verstehen, denn irgendwann hat sie uns alle beschlichen. Wir haben mitgelitten, als diese geweihte Atmosphäre, als dieser sakrale Corpsgeist und diese Ehrfurcht von unseren heiligen Handlungen sich allmählich verflüchtigte. Aber wir hatten auch 40 Jahre Zeit, um darüber nachzudenken.

Wir können unsere lange und komplizierte Kulturgeschichte des Heiligen nachvollziehen. Christen waren es, die den antiken Göttern ihren Nimbus entzogen und auf ihre Amtsträger, Gebäude und Handlungen übertragen haben - übrigens nicht so konsequent, denn den Institutionen der Macht, also den Kaisern und späteren Königen blieb ein hohes Maß göttlicher Heiligkeit zuerkannt. Das ist hier ebenso wenig das Thema wie jene zweite, spätmittelalterliche Welle der Entsakralisierung. Damals verfielen zahllose Bräuche und Riten (wir sprechen meistens von Aberglauben) dem kirchlichen Verdikt ebenso wie die sogenannten Hexen, die man in Wellen öffentlicher Hysterie ausstieß, demütigte und verbrannte. Diese Opfer sind nicht zu vergessen, wenn wir die Epoche der rationalen Weltsäuberung nennen. Die christlichen Kirche engten das Heilige immer mehr ein, beschränkten es auf ihre selbstdefinierten Personen, Räume und Zeiten. Nachdem so das Heilige heteronom bestimmt war, ging das Gespür für das Geheimnis der Wirklichkeit zunehmend verloren. Unnachsichtig wurde getrennt zwischen heilig oder gottlos, gottgeweiht oder profan, vor Gott legitim als rein weltlich, leiblich oder dem Verderben überliefert. In dieser Epoche mit dem Barock als Höhepunkt kann die katholische Kirche eine triumphale Geschichte vorweisen. Sie hat noch heute ihre Nachwirkungen in den päpstlichen Großevents mit Hunderttausenden, wenn nicht gar Millionen begeisterter Fans. Erst seit dem 12. Jahrhundert werden Gemeindeleiter als die exklusiven Verwalter der Geheimnisse begriffen, von jedem vitalen Kontakt mit Frauen getrennt, bis sie sich schließlich in Trient (1545-1563) zu den einzig legitimen Vertretern des Heiligen, zu geheiligten Personen erklärten, die sich geradezu ontologisch von Normalchristen unterschieden (23. Sitzung, 1563). Den Laien wird, beinahe zynisch, im kirchlichen Gesetzbuch von 1917-1983 noch das Recht zugestanden, „vom Klerus gemäß den kirchlichen Normen geistliche Güter und vor allem die zum Heil notwendigen Hilfsmittel zu empfangen“.

Brechen wir diese Hinweise hier ab. Ich bin jedenfalls davon überzeugt: Die Säkularisierungsprozesse in unserer Kultur sind zu großen Teilen als Gegenschlag gegen diese Enteignung zu verstehen. Man hat die Welt, die „Laien“ eingeschlossen, für prinzipiell unheilig erklärt, also haben sich Welt und Laien auch so verstanden. Die katholische Kirchenorganisation ist an ihrem veramtlichten Heiligkeitsmonopol gescheitert. Lange schien das Heilige verschwunden zu sein, so als hätte es sich in ein Nichts aufgelöst. Also sehen sich die Retter der Vorzeit mit einer bleibenden Sonnenfinsternis konfrontiert. In keinem Jahrhundert wurde so massiv gegen diese Welt gewettert und nie war die Angst so stark, man könne sich ihr anpassen und seine christliche Identität verlieren. Zwar hat sich Rom seit den 80er Jahren zum Spezialisten religiöser Events entwickelt, aber der Geschmack des Heiligen ist ihnen schon lange entwichen. Kein Hauch von Taizé, einem indischen Ashram oder einem baptistischen Gottesdienst in Haarlem ist dort zu spüren. Ähnliches gilt für die groß aufgezogenen Gottesdienste in deutschen Kathedralen. Auch ihnen fehlt die Atmosphäre, die uns mit dem Geheimnis in Berührung bringt. Viele von uns, geben wir es zu, sind ob dieser Entwicklung zutiefst enttäuscht. Nostalgisch plagt auch viele von uns die Sehnsucht nach schönen alten Zeiten.

Dieser Erfahrungswandel ist einer der Gründe, warum junge Menschen weder in traditionellen Gemeinden noch bei den Reformern zu finden sind. Ganz unbefangen erfahren sie das Geheimnis der Welt an allen Orten der Welt, nur nicht in der Kirche. Sie suchen und erfahren es in der Kunst, insbesondere in Musik und Tanz, in der unerwarteten Begegnung, in Liebe und Sexualität, im Rausch der Ereignisse ihrer Stadt, in der unerwarteten Stille oder in einem Wort, das ihnen ihre Würde wieder gibt. Das Heilige ist überall. Man muss es nur finden.

Auch an diesem Punkt sind wir, wie ich meine, von der urchristlichen Situation nicht weit entfernt. Im Kontrast zur hochentwickelten Ritualisierung des jüdischen Alltags, noch mehr im Kontrast zu den gnostischen und Mysteriumsreligionen der hellenistischen Welt brachte die Jesusbotschaft einen außerordentlich profanen Impuls. Er, der sich von Gott verlassen wusste und der als Verfluchter am Kreuz starb, lebte gewiss nicht aus dem Normenkatalog geregelter Frömmigkeit; gegenüber ihr wahrte er eine wohlbedachte Distanz. Die urkirchlichen Ämter, auch die Leitungsämter, wurden gerade nicht mit religiösen, sondern mit profanen Begriffen umschrieben. Es gab die „Ältesten“ der jüdischen Synagogenordnung, die funktional umschriebenen „Diakone“, ferner die „Episkopen“, also schlichte „Aufseher“, wie man sie entweder in der Finanzwelt oder im Militär nannte. Ich behaupte nicht, diese Funktionäre seien dem Heiligen fremd gewesen. Natürlich wurden sie unter Gebet und im Bewusstsein ihrer Aufgaben in ihr Amt eingesetzt. Aber die Berührung mit dem Heiligen kam nicht aus ihrer Person, auch nicht durch eine spezielle Beauftragung von oben, sondern dadurch, dass sie inmitten der Gemeinde arbeiteten und deren Aufgaben versahen.

An diesem Punkt gilt es neu anzusetzen. Nicht wir haben zu bestimmen, wo sich das Heilige zeigt, sondern das Heilige zeigt sich uns in unberechenbarer Weise. Deshalb heißt es, die Ohren und die Augen zu öffnen. Es geht auch um die Begegnung mit anderen Religionen, auch um den Kontakt mit den Muslimen, um die Herausforderung durch Buddhismus und Meditation, um das sich Versenken in die eigenen Tiefen, um die Freundschaft mit einer Welt, die Wunder über Wunder bietet. Harry Kuitert hat vor Jahren einmal geschrieben: Kein Gottesdienst und kein Sakrament kann am Sonntag funktionieren, wenn nicht die Erfahrungen der Wochentage sie nähren. Wir sollten unsere Gottesdienste also nicht überfordern, so als stelle sich in ihnen die große Offenbarung ein.

Zugleich muss uns dies endlich klar werden: Eine Person, die meint, sie handle an Stelle Christi, verfehlt so lange ihr Ziel, als sie nicht von einer christlichen Gemeinde, dem Leib Christi, getragen wird, als sie nicht die Erfahrungen des profanen, allgegenwärtigen Heiligen aufnimmt und in der Spur der Jesus-Nachfolge erlebbar macht. So gesehen können und werden wir alle das Heilige erfahren; dazu haben wir keinen Vater oder Pastor, keinen Geistlichen oder Hirten nötig. Wir müssen dazu weder Priester noch pastorale Mitarbeiterin, weder Diakon noch Gebetsleiterin sein. Nicht von einem Priester hängt ein heiliges Geschehen ab, sondern das heilige Geschehen und die Gemeinsamkeit der Gemeinde geben den Gemeindeleiterinnen und Gemeindeleitern ihre Würde. Was also hindert eine in sich versöhnte Gemeinde daran, selbst Gottesdienst zu feiern?

3. Wir können Geschwister sein

In den Niederlanden und in anderen westlichen Ländern begann der Niedergang der katholischen Kirche mit Konflikten über ihre Organisation und Autoritätsstrukturen. 1970 entdeckte Rom wieder das Privileg der päpstlichen Unfehlbarkeit. Bald folgten Auseinandersetzungen um Priestertum und Zölibat. Seit den 80er Jahren steht die Rolle des Priestertums der Frau zur Diskussion. Im Untergrund schwelten dogmatische Fragen vor allem zu Christologie und Sakramentenlehre, aber auch in ihnen regierten die Ordnungsvorstellungen von Kirche und Gesellschaft; man erinnere sich an die Disziplinierung der Befreiungstheologie. Mit der Suspendierung zahlloser Priester - und dies nicht nur aus Gründen des Zölibats - verloren die Kirchen ihre besten Leute, und viele haben diese Demütigung nie verwunden. So wuchs in Deutschland wie in den Niederlanden eine Schicht von enttäuschten, aber hoch engagierten Katholiken heran. Trotz ihrer Enttäuschung sind sie leidenschaftliche Anhänger dieser Kirche geblieben. Viele höchst qualifizierte Opfer des römischen Regimes konnte ich an der Radboud Universiteit und anderswo kennen lernen. Diesen Aderlass haben die Kirchen unserer Länder nicht ganz bewältig. Aber der dramatische Priestermangel, die Implosion der klassischen Pastoral, der Zusammenbruch der Gemeinden von innen und von außen, dies alles reicht nicht aus, um die Bischöfe zum Nachdenken zu bewegen.

Aber das ist wiederum nur die eine Seite der Geschichte. Die andere Seite hat in den vergangenen Jahrzehnten zum Lernprozess geführt, der nicht einfach, aber segensreich war. Er hing wiederum zusammen mit unserer katholischen Sozialisation in schönen Riten und Gebeten, in einem liturgischen Kosmos, der unsere Herzen gefangen hatte. Ich erinnere mich an das Wort eines niederländischen Bischofs aus der Konzilsgeneration, der bis zu seiner Emeritierung einen aufrechten Weg gegangen ist. In einer Situation tiefer Demütigung durch Rom wurde er gefragt, warum er den Bettel nicht hinschmeißt. Er antwortet: Meine Generation bemüht sich zwar um einen aufrechten Glauben und um eine menschenfreundliche Gemeinschaft, aber mit allen Fasern unseres Herzens sind und bleiben wir dieser Kirche verbunden. Warum? Von Kindheit an haben wir die Liturgie immer neu wie ein großes Fest, als eine gewinnende Orientierung, als eine Welt voller Schönheit erlebt. In der Tat, ich weiß von vielen ehemaligen Priestern, die von diesen Erfahrungen nie loskamen. Die Liturgische Bewegung hatte das Ihre dazu getan, denn sie verband die Änderungen der Liturgie in höchster Intensität mit der Hoffnung auf mehr Menschlichkeit, auf mehr Nähe zum Volk, auf mehr innere Kraft.

Mit dieser Bindung beginnt aber auch für viele der Bruch, den die Älteren als schmerzlich, die Jüngeren unter ihnen mit größerer Nüchternheit erfuhren. Es war das hochautoritäre und sakramentalistische Element, das dieser Liturgie innewohnte. Hochautoritär war es, weil es alle zentralen Vollzüge an die Ordination durch den Bischof verband, der bis heute noch mit einem wertvollen Stab, mit einer phrygischen Mütze und mit den byzantinischen Hoffarben auftritt. Elemente, die vielleicht in eine feudale Gesellschaft passten. Heute wirken sie nur noch unnatürlich und weltfremd. Vielleicht können sie sich deshalb als über-natürlich tarnen. Nachdem ungefähr alle theologischen Begründungen für dieses pontifikale Selbstverständnis in sich zusammengebrochen waren, gerieten nicht nur die Hierarchen mit ihren hochkonservativen Anhängern in Probleme, so tief sitzt diese Prägung noch in vielen.

Ich erinnere mich an die Jahresversammlung einer progressiven theologischen Zeitschrift in Prag. Vorgesehen war ein Gottesdienst, der unerwartet mit den Plänen einer allochthonen Gemeinde in Konflikt geriet. Alle warteten unentschlossen, bis plötzlich der Ruf erschallte, alle Priester sollten zum Altar kommen. Ohne jedes Zögern folgten unsere ordinierten, so kirchenkritischen Freunde dem Ruf und wir fühlten, wie plötzlich ein Riss unsere Gemeinschaft durchzog: Dort die Kleriker, die dem Geschehen ganz nahe waren, hier die „Laien“, Männer und natürlich alle Frauen, die die Gaben des Heils aus ihrer Hand empfangen durften. Viele Katholiken sind nicht nur harmoniesüchtig, sondern auch autoritätsfixiert geblieben.

Deshalb ist Trauerarbeit auch heute noch notwendig. Wir müssen und wir können dieses Erbe auch ohne schlechtes Gewissen über Bord werfen. Und deshalb müssen und können wir endlich Konsequenzen zeihen aus Erkenntnissen, mit denen wir schon längst vertraut sind. Wir sollten die Rede vom mystischen Leib vergessen. Sie wurde oft recht banal mit einer Körperschaft übersetzt, die natürlich ein Haupt braucht. Für alle gilt das Johanneswort: „Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemand belehren zu lassen.“ (1 Joh 2,27) Das 2. Vatikanische Konzil hat unmissverständlich verdeutlicht, dass das Volk Gottes als Gesamtheit einer jeglichen inneren Strukturierung vorangeht. Sogar das Kirchliche Gesetzbuch von 1983 erklärt, dass durch die Taufe alle Gläubigen „des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi teilhaft geworden sind“ (c. 204). Zwar vermeidet das Dokument peinlich weitere Konsequenzen. Aber in einer Epoche, in der das gesamte klerikale System zusammenbricht, ist endlich nach des Kaisers vermeintlichen Kleidern zu fragen. Wenn heute Bischöfe und Priester ihre Amtsvollmacht zur Geltung bringen, dann haben sie, bitte, auch die Beweislast. Von Ambrosius wird noch berichtet, dass er, der noch nicht Getaufte, auf den Ruf eines Kindes hin von der Gemeinde zum Bischof bestimmt wurde. Seit dem Zusammenbruch der römischen Rechtssysteme in der Epoche der Völkerwanderung ist die geordnete Mitwirkung der Gemeinden bei der Bischofsernennung weggebrochen und bis heute wurde es versäumt, diese demokratischen Strukturen wiederherzustellen. Sie haben sich nur noch bei den älteren Orden (z.B. bei Benediktinern und Dominikanern) erhalten. Diese urkatholischen Strukturen schließen aber ein, dass Personen eines jeden Lebensstandes, also auch Frauen, Verheiratete, Homophile diese Funktionen der Gemeindeleitung, des Vorsitzes in der Eucharistie und der Lehre übernehmen können. Wir können Geschwister sein.

Deshalb ist es unser Recht und unsere Pflicht, als Geschwister, ohne innere Schranken, d.h. unter den genannten Voraussetzungen, in Erinnerung an Jesu Tod und Auferstehung, unseren christlichen Glauben und unsere Gemeinschaft feiern, wie es faktisch an vielen Orten geschieht. Nicht wir, denen man fragwürdige patriarchalische Grenzen auferlegt, sind es, die das Netz der apostolischen Gemeinschaft zerreißen. Die Hierarchen haben es wider besseres Wissen schon lange zerrissen. Vor wenigen Wochen haben die deutschen Bischöfe mal wieder einen Priester gemaßregelt, weil er – vor dem Hintergrund der Missbrauchsfälle – den Zölibat kritisiert hatte. Darauf zog sich ein prominenter Journalist von seinen kirchlichen Ehrenämtern zurück mit dem Argument: „Das Reservoir an Vertrauen ist endgültig erschöpft.“ Dies gilt jetzt, 45 Jahre nach dem 2. Vatikanischen Konzil und angesichts der neuesten Entwicklungen für uns alle. Wir haben inzwischen das Recht und die Pflicht, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Wir leben in einer säkularisierten Epoche, in der nur noch das authentische Wort und die glaubwürdige Handlung gelten. In ihr geht er um die schlichte, aber alles entscheidende Frage: Dürfen wir es in diesem Augenblick noch zulassen, dass die christliche Botschaft durch autoritären Missbrauch verunstaltet und für die partikularen Zwecke einer Institution instrumentalisiert wird? Es geht, wohlgemerkt, nicht darum, dass wir wieder glaubwürdig werden. Das wäre zu kurz gegriffen. Es geht um das Argument: Als Christen treten wir vorbehaltlos ein für die Nachfolge Jesu, der sein Leben für das Wohl der Menschen, der Entrechteten zumal, in die Waagschale gelegt hat. Die Glaubwürdigkeit, die wir dadurch wieder gewinnen, wäre nur der „Kollateralgewinn“, wie vor kurzem der Jesuit Klaus Mertes sagte, der in Deutschland durch seinen Einsatz für missbrauchte Jugendliche in Berlin bekannt wurde.

4. Wir müssen ein Risiko eingehen

Liebe Freunde, was ich Ihnen vortrage, ist nicht neu, aber es gewinnt eine aktuelle Bedeutung. In den vergangenen Monaten hat die Krise der katholischen Kirche in den westeuropäischen Ländern einen unerhörten Tiefpunkt erreicht. Dennoch denken Rom und die Bischöfe auch nicht im Traum an eine Erneuerung von Strukturen und Spiritualität. Das 2. Vatikanische Konzil wird nach wie vor ignoriert. Das ist nicht nur ein Verrat an der innerkirchlichen Erneuerung, sondern auch schamlos, weil es elementare Impulse der christlichen Botschaft verrät. In den vergangenen Jahrzehnten lernten wir den faktischen Verfall kirchlicher Strukturen, deren Triumphalismus, Sexismus und Rechthaberei kennen. Wenn wir heute neu beginnen, dann beinhaltet dieser Neubeginn eine noch größere Radikalität als der Neubeginn vor beinahe 45 Jahren.

Auf der ganzen Welt ist das Ende der Staats- und der Volkskirche besiegelt. Daraus folgt: Wir müssen die Gestalt der Kirche spätestens vom 3. Jahrhundert an rekonstruieren. Nicht alle späteren Entwicklungen und Errungenschaften werden dadurch bedeutungslos. Aber genau jene Elemente, die man in der Regel als „typisch katholisch“ umschreibt und für die Rom heute eine „katholische Kontinuität“ einfordert, genau jene Elemente verdienen keine selbstverständliche Autorität mehr. Sie sind zu überprüfen: Dazu gehören das Priestertum in seiner heutigen Form, der universale Monopolanspruch des christlichen Glaubens, die klerikale Amtsstruktur, die den Gemeinden alle Vollmachten und alle Würde entzieht, das Monopolrecht eines Papsttums, das sich vom biblischen Petrusdienst meilenweit entfernt hat. Die massiven Titel vom Stellvertreter Christi, vom sichtbaren Haupt des Leibes, vom unfehlbaren Hirten und Lehrer, sie alle in eine sakrale Wolke gehüllt, lenken massiv von der christlichen Botschaft ab. Außer Gott nennen wir niemanden mehr Vater oder Mutter, das sexistische Weltbild wollen wir überwinden und die Rechte der Gemeinde, die mit dem Verfall des spätrömischen Reiches untergingen, sind die Wiege und die Vorbedingung für alle priesterlichen, prophetischen und pastoralen Kompetenzen.

Es ist meine feste Überzeugung: Um der Sache Christi willen müssen wir damit beginnen, sonst wird die Fackel in der katholischen Kirche nicht mehr brennen. Das ist eine befreiende, aber auch eine risikoreiche Perspektive. Wir wollen keine Kirchenspaltung, lassen uns aber auch nicht aus der katholischen Kirche hinausdrängen, wie das in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Wir können nicht einfach neue Gemeinden gründen, aber faktisch sind sie an vielen Orten schon entstanden und können weiterhin entstehen. Es ist kaum möglich, eine neue Sukzession der Handauflegung zu schaffen, aber wir wissen auch, dass wird notfalls auf sie verzichten können. Niemand hat einen Masterplan zur Errichtung einer erneuerten Kirche, aber vieles, das faktisch schon begonnen hat, können wir weiterführen. Z. B. haben wir in Europa mindestens drei Bischöfinnen und es gibt die Kirchen der Utrechter Union, die uns sehr, sehr nahe stehen.

Die Auflösung kirchlicher Strukturen, die ohnehin stattfindet, erleichtert uns die Aufgabe enorm. Wer die dogmatischen, in hohem Maße hellenistischen Lehrgebäude der Vergangenheit zu relativieren weiß, findet weite Horizonte. Sie machen auch intensive Begegnungen mit außerkatholischen, außerchristlichen und außerreligiösen möglich. Jesus von Nazareth, den wir Christen als den Messias bekennen, schuf ja keine Lehr- oder Moralgebäude, sondern eine Lebenspraxis, die sich mit fragenden und hilfesuchenden, mit leidenden und unterdrückten Menschen solidarisiert.

Was also ist zu tun?

1.
Jede Erneuerung beginnt mit einem neuen Selbstbewusstsein. Wir können Priestern und Bischöfen mit großem Selbstbewusstsein gegenübertreten. Denn besser als früher wissen wir: Sie tragen für ihren Anspruch und ihr Handeln gegenüber den Gemeinden und christlichen Gruppierungen die Beweislast. Wir wissen inzwischen aus guten christlichen Gründen, wie fragwürdig und labil ihre Autorität ist, solange sie von den Gemeinden weder Auftrag noch Legitimation erhalten haben. Sie müssen nicht nur mit praktischem Widerstand rechnen, sondern können auch harten theologischen Widerspruch erfahren. Es geht darum, autoritäre Ideologien als interessen- und machtbedingt, als unsolidarisch zu entlarven.

2.
Die Erneuerung lebt von einer genauen Vorstellung dessen, was die Kompetenzen und die Pflichten einer Gemeinschaft von Getauften sind. Gewiss, sie lassen sich nicht abstrakt, sondern nur in bestimmten Kontexten beschreiben. Für den global player von 1,3 Milliarden Menschen wird eine starke Amts- und Führungsstruktur immer wichtig sein. Weder der Petrusdienst der Gesamtkirche noch der Leitungsdienst der Bistümer soll abgeschafft werden. Wo sie aber versagen, müssen die Gemeinden einspringen. Wir wollen nicht, dass die Auseinandersetzung um Strukturfragen zur reinen Machtfrage degeneriert, auch wenn Machtinteressen immer im Spiel sind. Aber wir müssen endlich wieder zu einer theologisch fundierten Auseinandersetzung kommen und dabei die Regeln der spätantiken, der mittelalterlichen und der neuzeitlichen Volks- und Staatskirche zur Diskussion stellen. Auch Traditionen werden gemacht und ideologisiert.

3.
Christliche, d.h. auch katholische Erneuerung lebt vom offenen Zusammenschluss Gleichgesinnter. Ein neues Selbstbewusstsein löst uns vom Zwang zur Verheimlichung und Individualisierung, die zugleich zur Gefahr werden können. Wir müssen neue Formen der strategisch berechneten Öffentlichkeit finden. Dazu gibt es heute mehr Möglichkeiten als vor 20 Jahren; schon die Kommunikationsmittel bieten enorme Kapazitäten. Dieser Zusammenschluss muss nicht nur der gegenseitigen Bestärkung, sondern auch der gegenseitigen Kritik und Korrektur dienen. Erneuerung fordert Kreativität, diese ist aber vor irrealem Wunschdenken, vor neuer Arroganz, also vor dem zu schützen, was Luther als die Gefahr der Schwärmer umschrieben hat.

4.
Die Erneuerung lebt schließlich davon, dass wir uns selbst nicht vom Chaos auffressen lassen. Nicht alles, was neu ist, ist gut. Für die Kontinuität einer christliche Kirche sind, so scheint mir, folgende Elemente unabdingbar. Wir bauen auf

- die Erfahrung des Heiligen. Unverzichtbar ist also eine geregelte, auf das Geheimnis Gottes bezogene Liturgie;
- die Präsenz des Evangeliums. Unverzichtbar sind also eine sorgfältig versorgte Verkündigung, der Rückgriff auf die Heiligen Schriften;
- die Praxis und Vergegenwärtigung des Teilens. Unverzichtbar ist also eine Lebensoption, die eine prinzipiell offene Solidarität und die Bereitschaft einschließt, das eigene Leben mit anderen zu teilen;
- eine nach innen offene, nach außen aber stabile Struktur. Unverzichtbar ist also die Fähigkeit zu gemeinsamem Handeln.

Im letzten Element liegt ein sensibler Punkt, weil er den offiziellen Monopolanspruch der Hierarchie ausdrücklich bestreitet. Das von den Dominikanern verfasste Papier zu „Kerk en Ambt“ hat die Frage klug gelöst. Wir zerstören nicht die offiziellen Amtsstrukturen, obwohl sie sich - 45 Jahre nach dem Konzil – selber in den inneren Ruin treiben. Wir ersetzen sie aber kraft gemeindlicher Vollmacht dort, wo man getauften Männern und Frauen das Recht vorenthält, die Eucharistie zu feiern und zu einem selbstbestimmten Handeln zusammenzukommen. Wir lassen uns nicht das Recht zur liturgischen Feier nehmen, solange es dazu befähigte Getaufte gibt. Formal tasten wir nicht das Bischofsamt an. Aber wir wissen: Die Apostolizität der Kirche wird letztlich nicht durch die Kette von Handauflegungen garantiert, diese Ketten brechen ohnehin irgendwann ab. Die Apostolizität wird in erster Linie dadurch garantiert, dass die Gemeinden eine Einheit bilden und im apostolischen Glauben verharren, der seinerseits mit den dogmatisierten Glaubenssätzen nicht identisch ist.

5.
Unabdingbar sind eine ständige Begegnung und Zusammenarbeit mit nichtkatholischen Kirchen. Auch die katholische Kirche hat kein Recht, sich abzugrenzen und anderen Denominationen ihre Kirchlichkeit abzusprechen. Wir haben einander als die Glieder einer einzigen Familie zu betrachten. Blutsverwandtschaft schließt Verschiedenheit nicht aus, lebt aber aus einer tief empfundenen Gemeinsamkeit. Je mehr die offizielle katholische Kirche uns an den Rand der Häresie oder des Schismas drängt, umso mehr Verankerung benötigen wir im Kontakt mit anderen Kirchen. Wir nehmen damit eine Situation vorweg, die früher oder später ohnehin eintreten wird.

6.
Zuletzt nenne ich den heikelsten Punkt dieses Erneuerungsprojekts, der uns die größte Sorge bereitet. Auf der einen Seite sind die reaktionären Kräfte enorm erstarkt. Man kann nicht unbedingt behaupten, junge Theologen und Priester stünden auf unserer Seite. Bisweilen hat man den gegenteiligen Eindruck. Auf der anderen Seite fehlt bei den Reformkräften der Nachwuchs von kritisch und selbständig denkenden Menschen. Bei bestimmten Gelegenheiten sind wir immer noch stark sein; die gefüllte Kirche beim Trauergottesdienst von E. Schillebeeckx hat dies gezeigt. Wie viele werden aber in zehn oder zwanzig Jahren noch zu einer solchen Gelegenheit kommen? Viele von ihnen verarbeiten ihre religiösen Fragen inzwischen im Rückgriff auf andere Traditionen. Sie stehen höchstens noch mit einem Bein, vielleicht überhaupt nicht mehr in der Kirche. Einerseits können sie die christlichen Traditionen nur bereichern; das Christentum braucht sich durch keine andere Religion bedroht zu fühlen. Andererseits wäre es eine Katastrophe, wenn die christlichen Quellen einfach versiegen würden. Ich sehe nur einen Weg, der uns aus diesem Dilemma führt. Das sind neue Gruppierungen, aus denen wir, die nostalgischen Kinder des Konzils, uns endlich zurückziehen sollten. Die Jüngeren unter uns müssen ihre Ideen selbst entwickeln, die Formen der Auseinandersetzung selber wählen und ihre eigenen Rituale der Jesuserinnerung entwickeln. Wer der Botschaft Jesu vertraut, kann damit keine Schwierigkeiten haben.

Schluss

Tragen wir die Fackel also weiter. Diese Fackel heißt nicht Kirche, sondern Erinnerung und Nachfolge Jesu. Christus, nicht eine römische Institution ist das Licht der Völker. Nach meiner festen Überzeugung brennt diese Fackel unvermindert weiter. Allerdings, Fackeln zu tragen ist ursprünglich kein romantisches Geschäft. Fackeln haben gegen die Nacht anzukämpfen; erst im Kontrast gegen das Dunkel erhalten sie Leuchtkraft, erst im Sturm entfalten sie ihre volle Leuchtkraft. Je nach Wetter zünden sie Vertrocknetes an. Bisweilen macht man sich die Hände schmutzig; denn schließlich gibt es kein Fackellicht ohne Russ. Auch dies ist zu bedenken, wenn wir Jesus das Licht der Welt nennen. Diese Ansage enthält zwar ein großes Versprechen und wir bauen gerne auf ihr weiter. Aber ihre Verwirklichung kostet die Mühe des Alltags und diese Mühe wird trotz aller Hoffnung unabsehbar sein.

Hermann Häring

Reacties

Een prachtig pleidooi en een hoopvolle boodschap. Ja, éénmaal voorbij de angst van het dictaat van Rome komt de bevrijding en de liefde als vanzelf bovendrijven. Uw boodschap is een Blijde Boodschap, een inspirerende aanmoediging om 'geloven' te assimileren tot levenshouding i.p.v. het 1-uur-conformisme-op-zondag en het stoor-me-voor-de-rest van-de-week-niet-met-je-praatjes. Deze tekst is zalf op de wonde, is bemoediging waar vertwijfeling heerst, is positieve kracht, is 'kiem'kracht voor een dienende kerk en haar te doen ontluiken. Van harte dank voor deze heldere ontleding en deze inspirerende synthese. Dit is (geloofs)vooruitgang.
Jan Vereertbrugghen - Halle (België)


Onderzoek mogelijkheden om ook huiskamer-groepen te vormen. Ik ben 84 jaar en reis niet meer van hot naar haar. Maak het waar in de praktijk. Het artikel is zeer waardevol en laat je ademen.
Anna W.G. Rijnenberg-Wijnne - Voorburg


Indrukwekkende tekst van prof. Häring. Maar toch mis ik iets. Iets wat ik wel vind bij de theoloog Bonhoeffer: de religieloze mens en de niet-religieuze interpretatie van de Bijbel. Die niet-religieuze interpretatie van de Bijbel zal een interpretatie zijn, die ons tegelijk in de werkelijkheid van God en in de werkelijkheid van de wereld plaatst en die de machtige verleiding tot een denken in twee ruimten (Plato) weerstaat. Bonhoeffer sloeg een brug tussen de Verlichting en de aan het mens-zijn inherente spiritualiteit. In die zin is hij een uiterst modern denker, zo stelt de filosoof Sperna Weiland in zijn boek "Bonhoeffer; het einde van de religie". Dit boek vind ik erg inspirerend, omdat het de kloof tussen geloof en rede m.i. overbrugt en daarmee geloof weer acceptabel maakt. Kan prof Häring daar eens wat anders op ingaan? Wellicht helpt dat de huidige autonoom denkende hedendaagse mens, waar ik ook toe behoor. Ik ben benieuwd naar een dergelijke verbindende tekst. Met alle lof.
Hans Pijnaker - Moergestel



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